Stargast in Düsseldorf 

 Hermes

Eine melodramatische Begegnung mit Showgröße Hermes Phettberg, dem Elenden in Wien. H.K.

Als Hermes Phettberg, der berüchtigte Talkmaster aus Wien, auf dem Düsseldorfer Flughafen eintraf, saß er auf einer Terminal-Bank, um mich zu erwarten. Er sagte zur Begrüßung: „sehr erfreut, der Herr - ich muss jetzt so schnell wie möglich einen Discounter finden, um Lebensmittel zu kaufen, damit ich ab jetzt ununterbrochen Fressen kann."

Er war eine lange Zeit mein Wunschgast, weil mich sein Werdegang und sein gelebter Kontrastreichtum sehr interessierten. Er wurde von uns, dem Team, eingeladen, in einer Show als Protagonist und Redner mitzuwirken - und er kam. Der Vierhundert-Meter-Weg zur Limousine, die bereitstand, war ihm beschwerlich und ich hatte schon vorher von seinem Vertrauten erfahren, dass er 180 kg wog. Daran konnte es keinen Zweifel geben, so wie er sich bewegte und so wie er daher kam. In seinen für ihn (rein objektiv betrachtet) erfolgreicheren Zeiten, wog er eine Idee weniger, obwohl er auch schon dort seinen Kummer und seine inneren Befindlichkeiten optisch nach außen anhand seiner Leibesfülle kennzeichnete.

Er wurde von den Passanten im Glanz-Terminal des Düsseldorfer Flughafens sehr beobachtet und es schien, als wäre er ihnen ekelhaft, womit wiederum er durch sein bewusst unaufgeräumtes Erscheinungsbild spielte, es sogar gehörig ritualisierte und dafür letztlich auch bekannt war, es ihm vor allem aber vollkommen egal war - davon konnte ausgegangen werden. Er zelebrierte sein vermeintlich Abstoßendes gehörig, was er auch zwingend musste, um sich selber zu halten - es war die übliche Trotzreaktion und zugleich sein probates Stilmittel, um sich selbst gegenüber Belastendem der Außenwelt zu konsolidieren, so wie es bspw. auch Sartre in seinen Texten anbot, dergestalt, dass man die Hölle, die die anderen ja sind, jederzeit freiwillig verlassen kann. Nach meinem Dafür halten schien er für alle Beobachtenden in der Tat das Furcht erregend abstoßende Subjekt zu sein, was es jederzeit vermochte, sämtliche Blicke auf sich zu ziehen. Es war ein bisschen wie eine Monstershow. Die veränderte mimische Aura der Spalier stehenden Passanten war allzu deutlich und mindestens ebenso monströs. Für die Lebensmittel fuhren wir nach Aldi zum Einkaufen, die Limousine wartete, während er stöberte und mit zwei gefüllten Plastiktüten heraus schlürfte.

Eine Woche zuvor sah ich ihn in einer SWF-Talk-Show. Thematisch ging es dort um Privilegierte und Nichtprivilegierte, also um das z. Zt. quotenträchtige Reich/Arm-Thema. Und man lud sich Phettberg als Repräsentanz eines gestrauchelten Antagonisten ein. Er wurde dort zwar nicht wirklich vorgeführt, aber ausgiebig von oben herab behandelt, auch irgendwie unwürdig angesehen, genau genommen in der Rolle des „Bad Boy" funktional ausgebeutet, um einmal mehr lediglich die eigenen Fragen eitel zu feiern, anstatt Antworten eines Gegenübers zu generieren. Seine Nachbarin, die kurz mit ihm reden musste, machte einen spitzen Mund, neigte distanzlustig ihren fein geschnittenen Kopf und sah ihn angewidert an. Der Moderator Wieland Backes, wollte ihn in einer gewissen Sequenz nicht zu Wort kommen lassen. Hermes bat inständig und devot um „ein Sekündchen Redezeit", mit der entsprechenden Handbewegung, um ein „winziges Sekündchen Redezeit", was ihm vom adligen Wieland Backes aber nicht gewährt wurde, so dass es nahtlos in eine für alle Beteiligten beschämende Zeremonie des Feilschens um Redesekunden mündete, in der er am ende unterlag, sich aber bereitwillig fügte, obwohl die gesamte Zeit, die durch den Feilschvorgang verschwendet wurde, zehnfach ausgereicht hätte, das Gewünschte unterzubringen, wie es eben oft in erbaulichen Talkshows oder in familiären Diskussionen stattfindet. Phettberg an die Leine zu legen, heißt auch, die zähflüssige Kunst an die Leine legen.

Jedenfalls: Unser beider persönliche Begegnung fing zunächst recht technisch an. Ich für meinen Teil wusste vorher, und sah es an seinen Blicken, dass er eine Ausgeburt an Herzensgutheit, menschlicher Wärme, Geberfähigkeit, Rücksichtnahme und Bescheidenheit sein musste, und das wurde in der Folge auch immer deutlicher - seine Höflichkeit war enorm, er war zu keiner Zeit frech, unangenehm oder irgendwie gefährlich. Er meinte, ein kleines Hotelzimmer, indem er einfach nur dasitzen könne, würde ihm vollständig ausreichen. Dem konnte problemlos entsprochen werden. Er hatte ohnehin ein angenehm bescheidenes Auftreten und hatte sich als Staatsziel erklärt, niemanden zu belästigen. Nach seiner Ruhepause - und er brauchte ausreichend erholende Ruhe und Langsamkeit - also zum Zeitpunkt der Abholung für die Show, kam er aus dem Hotelausgang gequollen und war unglaublich notdürftig bekleidet. Er trug kaum Textil und seine weiche hellblau-fleckige Schlabberhose hatte kein Gummi. Es war die Verletzlichkeit eines Prekäristen, die damit repräsentiert wurde.

Anschließend, nach seiner Verbringung zur Veranstaltungsstätte, saß er stundenlang Backstage auf einem Stuhl und motivierte sich nach innen. Dann kam sein Auftritt, bei dem er erneut, und zwar durch völlig wertneutrale Aussagen, haarscharf das Publikum in zwei Lager schnitt. Nicht wenige gingen, einige mit den Worten: „absolut unästhetisch"! Er benötigte für seinen Auftritt weder Vorbereitung noch thematische Vorgaben. Er hatte - im Gegensatz zu kleinsten Lokalkünstlern - dazu weder ausreichend Allüren und materielle Sonderwünsche noch sonstige überzogene schizophrene Neigungen. Er hatte sich für die Bühne lediglich einen harten Stuhl und „bitt´schö, koane Themenvorgoabe" ausbedungen. Nach der Show, in der er gehörig polarisierte, nicht zuletzt durch folgerichtigen Fall seiner Hose, die sein Hinterteil gut sichtbar feilbot, sondern natürlich auch durch die improvisative Wortwahl, fuhr er mit dem Taxi allein ins Hotel und glitt in die Nacht.

Für den anderen Tag war ausgemacht, ihn abzuholen und zum Flughafen zu fahren. Ich traf ihn in einem Kiosk, in dem man Cafe trinken konnte. Dort wurde mir das Du angeboten, wir plauderten nachbereitend und ohne Zeitdruck über die Schwierigkeiten, eines so gearteten Showvorhabens in dieser Zeit, in Anbetracht der mentalen Widerstände, in Düsseldorf etablieren zu können, erst recht ohne Finanzmittel - so war es.

Wir plauderten ferner über Politik, über geistige Verirrungen, über seine Homosexualität, über sexuelle Bedürftigkeiten allgemein, über die Kunstleine, über Widerstände von nervös zitternden Fernsehmachern und verkrampften Kulturoperateuren, über Sinnlosigkeiten, über Verlust, aber der Parität halber natürlich auch über Schönes, Positivistisches, Erheiterndes, Lohnenswertes und konstruktivistische Kampfkraft. Für mich war es ein wunderschönes Gespräch. Wir saßen tief auf einem Podest unterhalb normaler Sitzhöhe, so dass die Köpfe noch nicht die Höhe des Tisches erreichten, es war gewissermaßen ein Gespräch von der Basis. Dann sollte es für ihn und seinen Manager, seinen kenntnisreichen Begleiter, Heim gehen. Mit dem Pkw wurde völlig spontan noch eine Stadtrundfahrt getätigt, in der es für die beiden Auswärtigen, so gut es eben gestattet war, einen ungefähren plastischen Überblick über den Zustand der schnittigen Modestadt Düsseldorf gab. Sie erschien Hermes Phettberg modern, er lobte ausdrücklich die „sehr schöne Architektur" der Landeshauptstadt, stellte überaus interessierte Fragen zu einzelnen Gebäuden und Sachverhalten und meinte, die Düsseldorfer wären alle so groß, wie die Garde vom alten Fritz, sie wären „gewaltig groß", woran dies denn liegen möge? Offensichtlich, war auch das ein Ausdruck seiner Befindlichkeit. Die Expression von ihm, die er schon am Anfang unserer Begegnung freiwillig, fast wörtlich bestätigte, dahingehend dass er sich selbst gern zerstören wollte, neben der erschwerenden Tatsache, seiner körperlichen Erkrankung, wurde im Verlauf unserer Begegnung weiter kultiviert.

Er hatte seinen Abgang und den Fall als Showmaster und „Kultfigur" in Österreich nie verkraftet, war in höchstem Masse resignativ und wollte sich selber nachhaltig schädigen, so war mit Erlaubnis mein erheblicher Eindruck. Er wollte nicht mehr kämpfen für irgendetwas Fragwürdiges. Er verkörperte zumindest zu diesem Zeitpunkt wohlweislich die Affinität zum selbst gewählten Abgrund - dieses kleine, widerwärtige für nicht Wenige eigenständige wie auch mächtige Faszinosum. Jeder menschliche Organismus vermag es, an ernsten Stellen aus Gründen der Selbstrettung zu kämpfen, den drohenden Niedergang zu vermeiden. Einige jedoch können und wollen das nicht mehr, lassen freiwillig das Leben, vielleicht sogar insgesamt das „Hier und Jetzt", los, weil sie raus wollen. Er könnte zu eben Jenen gehören, von denen es in jeder erfolgreichen Nation einen gewissen „Bodensatz" gibt.

Für mich ist er gleichwohl ein echter Star, ein Glamour. Als ich ihn damals in für ihn glorreichen Zeiten medial kennen lernte, war ich fasziniert von seiner Umgekehrt-Haltung, von seinem Paralleluniversum, von seinem Heldenmut zur Lücke. Er gab jederzeit einen gewaltigen Kontrast zu den kerzengeraden wild expressiven Scheinprominenten, die sich stets mit einer Industrie von gesundheitsschädlichen Windmaschinen und einer schrillen Entourage verbrüdern. Für mich, seinen Bewunderer, wird er jederzeit eine echte Größe des Showgeschäftes sein, ein Ausnahmetalent, irgendwie metaphysisch.

Meine Begegnung mit ihm war insgesamt eine beeindruckende, im wahrsten Sinne der Wortbedeutung, insbesondere da sich das letzte Bild, was ich am Flughafen, kurz vor seiner Abreise, von ihm gewann, regelrecht in meine Platine einbrannte. Er, der Star, der Verlorene, blickte sehr traurig und sehnsüchtig, irgendwie lebensunlustig. Mir kam es fast so vor, als wollte er auf der Insel Düsseldorf bleiben und nicht zurück in die Unsichtbarkeiten des Wiener Kerkers, aber das kann auch eine Täuschung gewesen sein. Zumindest war der Star hier! H.K.

 Phettberg