Natürlich ist es jedem Individualisten selbst plausibel genug, ob er sich ein kleines erlösendes Stück Glück erträumt oder ein gewaltiges. Für den einen ist ein gewaltiges ein kleines und den anderen umgekehrt, und was den einen glücklich macht, kann den anderen völlig kalt lassen. Aber was heißt in unserer Gesellschaft - einen objektivierten Maßstab zugrunde gelegt - Glück? Gibt es einen Standard für den Durchschnittsmenschen, eine für alle Zeiten auf Erden nachhaltig sättigende Portion mit den wichtigsten Nährstoffen? Seit der Neuzeit ist Objektivierbarkeit des Glücksbegriffes nicht mehr möglich, meint Malte Hossenfelder, Glücksforscher und Philosoph der Universität Graz, der die Objektivierbarkeit untersuchte. Der neuzeitliche Glücksbegriff erlaubt dies nicht mehr und, daraus resultierend, auch keine bestimmbaren Prinzipien zur Erlangung der Glückseligkeit. Im Gegensatz zur Antike sei das Glück heute radikal verinnerlicht worden, wird als subjektiver innerer Zustand gesehen, zu dem nur der Betreffende selbst Zugang hat. Wenn das Glück nur mehr innerer Zustand bedeute, ließe sich darunter alles subsumieren. Ein solcher Begriff wäre ein „Werkzeug ohne Wert, eine bloße Attrappe". Außerdem sei der Glücksbegriff zu individuell, und damit bleibt in Hossenfelders Aufsatz offen, wie und ob der objektivierbar ist.

Das konservative Bedürfnis, sich von Lottomillionen ein Haus zu bauen, ein Auto zu kaufen, in den Urlaub zu fahren und in die Altersvorsorge zu investieren, überwiegt bei den Deutschen, weiß etwa West-Lotto-Sprecher H. Bamfaste aus seiner reichhaltigen Erfahrung und kennzeichnet damit immerhin hervorstechende Eckpunkte. Glücksbegriffe in westlichen Zivilisationen unterscheiden sich massiv von Glücksbegriffen unterentwickelter Regionen. Während sich in westlichen Sphären die materielle Erlösung als der typischste Glücksbegriff manifestiert hat, ist andernorts der Wunsch nach purer Lebenserhaltung wesentlich weiter im Vordergrund. Es gibt einen eklatanten Unterschied in den Glücksparametern zwischen Familien, die, wie bspw. in Indien, mitten auf Gleisanlagen schlafen, um dort ihr Glück in Form heruntergeworfener Lebensmittel aus Zügen zu erträumen und etwa deutschen Zivilbürgern, die von Designerküchen träumen, um liebe Freunde auf einen edlen Rotwein einzuladen, die Begehung der neuen Kochkostbarkeit zu einer würdigen, zustimmend neidlosen Zeremonie auszukleiden. Es ist also deutlich zu differenzieren: In Abgrenzung zum Begriff des ideellen Glücks steht der Begriff vom materiellem Glück, welcher in der Deutung einen klaren Überhang aufweist. Daher wird davon zu reden sein.

 Lifestyle Armut

 Stilvoll mit einem edlen Tropfen anstoßen

 Sein Traum ist eine weiche Unterlage


Die Standardassoziation für das Große Glück hierzulande ist und bleibt unterhalb des Generalzieles Reichtum der Klassiker Lottogewinn, als Synonym bzw. Garantie für ein: „endlich, ich habe es ein für allemal geschafft - endlich habe ich so viel Geld, dass ich..., ich habe immer entbehren müssen, mein Leben lang...usw." Ein Lottogewinn gewissermaßen als orgiastische Entladung und Beendigung eines andauernden elendig-roboterhaften Daseins, so dass man sich in die Lage versetzt sieht, dem mobbenden Chefknochen endlich den vollständigen biologischen Unrat auf den Schreibtisch zu katapultieren. Natürlich: Die negativen Charaktereigenschaften werden im Zuge des Erlösungstatbestandes auf der Stelle pulverisiert, die Ur-Konflikte mit der Familie oder mit sich selbst auch. Gesundheit, Rechtschaffenheit, Begehrtheit, Weisheit und jede Menge Anerkennung fließen; unendliche Freundschaften wie erotische Kontakte mit Traumpartnern stellen sich wie von selbst ein und das eigene Antlitz wird um ein märchenhaftes Quantum aufgewertet. Im Spiegel steht der frisch gewaschene Prinz. Man ist am Ziel! Man mutiert zeitgleich mit Eintreffen der haptisch präsenten Gewinnsumme zum besseren Menschen, zum meist angesehenen Aristokraten der Stadt, dem ein jeder ebenso gönnerhaft wie jovial hinterher jubelt, wie einem siegreich ein marschierenden Feldherren. Man hat es für alle Zeiten geschafft, nie wieder bewegen, nur noch flach liegen und genießen, genießen. Das Projekt Leben ist durch, man existiert als ein neuer Mensch - man kann sich riechen, und es riecht verdammt gut. Alle lästigen Einzelheiten, Tücken und Unwägbarkeiten, wie weggeblasen. Man ist ganz weit vorn und Jegliches lässt sich konservieren. Das ultimative Szenario bekommt obendrein den konsequenten und sichtbaren Höhepunkt, die Trutzburg Traumvilla, eine prunkvolle Schonung. Es kann nunmehr echte Lebensqualität begangen werden. 

 Geld fließt

Fette Scheine, die sind meine -  Konsum beginnt, wie es mir aus den Händen rinnt


Man kann sich selbstverständlich reibungs- und bedenkenlos in den Schnellzug der Konsumwelt setzen und mit lässigem Fingerzeig im Vorbeifahren rote Hüte, farbenprächtige Shirts, nie wieder - oder erst recht - mausgraue Anzüge für sämtliche Wochentage; den symbolträchtigen Porscherrari für den Stau, Sonnenbrille mit Goldrand, limitierte Edition eines A. Lange-Chronographen Grande Complication Rattaprante für 695.000,- Euro (anstelle eines Großziehens von 5 Kindern bis weit nach dem Studium), Jagdstiefel für die Fasanenjagd, Karibiktrips und Karten für den Bayreuther Grünhügel neben privilegierter Politprominenz bedenkenlos beordern. Verschwendungsprassen im Feinkostgeschäft und stetige Besuche in der Parfümerie sind das Mindeste, was man sich obendrein zu gönnen hätte. Körperlich-medizinische Misslichkeiten werden durch Dauerimmunität ersetzt, gerade weil man sich ja alles kaufen kann. Alle Pein ist fort. Das wäre wunderschön, man hätte es verdient! Unter diesen Voraussetzungen hätte man es wirklich „geschafft". Aber leider besteht das Leben, diese ewige Baustelle, nun einmal aus Konflikt und Reibung - so muss es wohl sein, um Entwicklung im evolutiven Sinne überhaupt erst zu gewährleisten. Es gibt nämlich keinen Ausschalter, und ein irgendwie gearteter Stillstand in uns selbst, namentlich in Organismen schlechthin, ist bedauerlicherweise nicht vorgesehen, zumal einen solch statischen Zustand die gesamte Menschheitshistorie nicht hergegeben hat.

Derartiges Verblendungspotenzial strahlt sogar in den umgekehrten Begriff von Glück. Auch absolut gut geratene, gesunde und recht beliebte Menschen sagen: „Ich habe sowieso kein Glück, weil ich nie irgendetwas gewinne", egal ob man ein funktionierendes soziales Umfeld, kaum Feinde, keinerlei ernsthafte Gebrechen und ein liebliches Gesicht hat. Auch Postulate wie: „fast hätte ich es geschafft und hätte im Fußballtoto alle 11 Spiele richtig getippt, aber es war wieder nichts, ich verzweifele daran, dass ich nie Glück habe, ausgerechnet ich - irgendjemand ist sehr, sehr gegen mich", sind zu hören. Als spiegelbildliches Korrelat, ergibt sich demnach das Bild, es wäre das größte Pech, nichts zu gewinnen, also „Nichts" zu haben.

 

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