Zornig in den unerkannten Märtyrertod - ein volkskundlicher Ausflug in den deutschen Straßenverkehr. Heiner Koese

Zornzorn
                                                                                fotos sxc.hu

Was macht ein Individuum, eine Nation vollwertig? Das Automobil! - und welcher Exponent symbolisiert das ins Außen besser als eben dieses. Das Auto ist immer noch Statussymbol Nr. 1 und als obligatorisches Medium optimal geeignet, die durchschnittlich großen Geschlechtsteile zum vergleichenden Duell in der Straßenarena aneinander zu reiben. Es ist das lupenreine Symbol der trägen Wohlstandsgesellschaft, das hochgeschätzte Symbol der Bequemlichkeit, eine begehrte Markierung für Wohlstand und zugleich die unerkannte Geißel der Menschheit. Das Auto ist allzumeist unverzichtbar, für viele Ersatzreligion, Kultobjekt, Wohnzimmer. Unsere Beziehung zum Auto ist selbst seitens der Wissenschaft nur schwer zu ergründen.
                                          
Europaweit sind rund 200 Mio. Exemplare davon auf den Straßen, weltweit sind es bald 1,2 Milliarden. Die „Katastrophe der Realwelt" ist nach wie vor virulent. Das Lebensziel Vieler (nicht nur für Polen oder Ägypter) ist: einmal einen „Mercedes" (nun Chrysler) zu fahren. 
 
Aber auch die sklavische Abhängigkeit der deutschen Nation von diesem Fortbewegungsmittel, welche sich in ihren äußerlichen Handlungsmaximen fast vollständig über das Auto definiert, ist auffällig. Wir sind das Auto und das Auto ist wir selbst!! („Wo hast Du geparkt? - ICH habe um die Ecke geparkt") Wir lieben es/uns bzw. diese artifizielle Verlängerung unserer Organe sogar so sehr, dass wir ihm menschliche Züge verleihen. Die Werbung nutzt das gut und spricht Autos „Charakter und Temperament" zu, „leidenschaftlich, sportlich oder elegant" sind sie und ihre „formvollendeten Körper" wecken „Begierde". Dieser Stoff kann ebensogut aus einem Erotik-Trailer stammen. Einer Emnid-Umfrage zufolge steht auf einer Top-Twenty-Liste der häufigsten Wünsche auf Platz drei: „Ein neues Auto für den Alltag", hinter Platz 2 (Reise nach Amerika) und Platz 1 (Wohnen im eigenen Haus). Auf Platz 4 steht dann: Die Zukunt der eigenen Familie sichern. Stellenwert und Bedeutung liegen also fest.

Stern
                                 Der Stern macht´s

Die heutige übersatte Autogesellschaft präsentiert sich in einseitiger Fixierung auf dieses Objekt und dessen Industriekerne und ist zu weiten Teilen nicht bereit, ein paar hundert Meter mit dem Fahrrad zum Bäcker zu fahren. Schließlich wird für das Automobil (und pervertiert: für den Stau) sehr viel Geld ausgegeben. Domestizieren vor der Autoindustrie? („Wat sommer denn machen - am Auto hängt doch allet dran?!")

Sobald man in Zeitlupe in die Innenstadt zuckelt, zahlt man kräftig: Parkhaus, Knöllchen, Abschleppen, Strafgebühren in etlichen Variationen für die königliche Greifkommune, Kraftstoff....Warum? Stimmt da die Haltung noch und sind Kosten und Nutzen überhaupt noch ernsthaft deckungsgleich? Das Kfz ist ein sehr teures und trauriges Spielzeug, für das ein großer Teil des Monatslohnes drauf geht (Versicherung, Steuer, Reparaturen/Zubehör, Wartung/Pflege, Garage, TÜV). Die Anschaffungskosten betragen ca. 30.000,- €, Monatskosten ca. 500,- € , Kosten pro km ca. € 30,-!

Kraftvoll
              Sauberer Fahrspaß mit kraftvollem Design

Gewiss, die Autoindustrie hält uns am Leben, oder wen? Ist das jedoch der selbst gewählte Begriff von Freiheit - ähnlich dem selbst gewählten Begriff von Demokratie? Autofahren also eine zweckgerechte Einrichtung? Schnell voran Kommen? Individualität? Psychische und physische Gesundheit? Preisgünstigkeit? Freizeit? Lebensqualität? Möglicherweise hat das Auto uns oder alles schon längst verdorben oder verhext, weil in den Bann gezogen. Ist es eine Hexe aus Blech, die uns schräg auslacht und uns mästet, bevor sie uns in den Ofen wirft, uns zu verspeisen?

Die Autoindustrie suggeriert in ihren Spots ungebrochen Streiflichter wie: Freiheit, Individualität, Sportlichkeit, Lässigkeit, Komfort, die Ästhetik weitläufig-futuristischer Landschaften, galoppierende Ergonomie sowie junge unrasierte Männer, die in Begleitung von Top-Models über Hochhausdächer fahren, ja sogar von Dach zu Dach fliegen. Soviel zu den Phantasmagorien. Auf einen durchzugsstarken Motor jedenfalls braucht man hierzulande nicht zu verzichten.

Futura
                           Futuristische Landschaften

Auf den viel befahrenen Straßen jedoch, da wo es dreckig wird und die Lippen der seitlichen Fahrradfahrer einen schmierigen Film tragen bzw. Kleinkinder standardgemäß Krebsluft einatmen, ist genau das Gegenteil der Fall. Da wird die Selbstverlogenheit evident. Zwar preschen stellenweise Autos, wo es gerade noch geht (auf einsamen Waldstraßen), mit 80 Sachen an erstaunten Vögeln vorbei und im Käfigcockpit drinnen ist die Lautstärke, die man als Emmissär verursacht, die schädliche EMISSION also, aufgrund der Abgeschirmtheit nicht zu spüren. Man spürt bestenfalls die eigene MISSION - in den meisten Fällen turbulent, stressgeplagt und beschleunigt. Der Vogel leidet sehr.

rasantno chanceWald

Da hingegen, wo es nichts wird mit Freiheit und „malerischer Natur" (etwa auf lebhaften Stadtstraßen), da steht man, macht gefällig wrumm, wrumm... und pestet. Bei so viel Liebe unterliegt die Vernunft, und das hat einen gewaltigen Preis nicht nur in Punkto teueres Benzin. Autos sind laut, verstopfen die Städte, bilden endlose Staus, bringen Tod, Smog und verseuchte Umwelt, verändern uns - aber wen stört´s? Die Einsicht ist nicht groß, die Chancen der Heilung momentan leider auch nicht.

Wrumm, Wrumm
Wrumm, wrumm in die Freiheit...

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